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12.10.2022 Register Charlottenburg-Wilmersdorf

Beitrag des Registers Charlottenburg-Wilmersdorf zum Jahresbericht 2021 der Registerstellen


Zwei Broschüren des Jahresberichts 2021 werden angezeigt

Der Bezirk

Charlottenburg-Wilmersdorf ist ein Bezirk mit über 330.000 Bewohner*innen. Hier befinden sich die City West, die neben der historischen Mitte eine Zentrumsfunktion in Berlin einnimmt, zentrale Verkehrsknotenpunkte und touristische Attraktionen. In den lokalen Zentren der Ortsteile Charlottenburg und Wilmersdorf werden jährlich die meisten Vorfälle dokumentiert. Vor allem im Berliner Westen sitzen verschiedene Institutionen der Neuen Rechten, die wichtige Kommunikations- und Vernetzungspunkte für das rechte Spektrum darstellen.

Es wird eine Karte mit den Ortsteilen in Charltottenburg-Wilmersdorf angezeigt. Auf den Ortsteilen sind Balken mit der Anzahl der Vorfälle für die Jahre 2020 und 2021 zu sehen. Die Anzahl der Vorfälle im Bezirk ist von 276 im Jahr 2020 auf 292 im Jahr 2021 gestiegen. Die meisten Vorfälle hat demnach Charlottenburg mit 139, im Vorjahr 155. Es folgt Wilmersdorf mit 65, im Vorjahr 45. Die dritthöchste Zahl hat Westend mit 27, im Vorjahr 31. In Charlottenburg-Nord wurden 10 Vorfälle erfasst, im Jahr 2020 nur 3. Grunewald weist 6 Vorfälle auf, im Vorjahr waren es 5. Es folgen Halensee mit 6 Vorfällen, im Vorjahr 4 und Schmargendorf mit einem Vorfall, im Vorjahr 3. Vorfälle bei denen der Ortsteil unbekannt blieb, wurden 26 erfasst, im Vorjahr 14. Im Internet wurden 2021 21 Vorfälle erfasst. Im Vorjahr waren es 6.

Charlottenburg-Wilmersdorf im Jahr 2021

Im Jahr 2021 wurden in Charlottenburg-Wilmersdorf 292 extrem rechte und diskriminierende Vorfälle dokumentiert. Das entspricht einem Anstieg von 5% im Vergleich zum Vorjahr (276) und ist die bisher höchste Zahl der im Bezirk erfassten Vorfälle. Grund dafür war die Zusammenarbeit mit neuen lokalen und berlinweiten Kooperationspartner*innen sowie die Etablierung neuer und einfacherer Meldewege bspw. über Instagram. Mit über der Hälfte aller Vorfälle war Propaganda weiterhin die meistdokumentierte Vorfallart (2021: 154; 2020: 139), gefolgt von Bedrohungen, Beleidigungen und Pöbeleien (2021: 52; 2020: 48). Es wurden doppelt so viele strukturelle Benachteiligungen (2021: 26; 2020: 13) und weniger Veranstaltungen (2021: 30; 2020: 41) sowie Angriffe (2021: 24; 2020: 28) dokumentiert.

Mit etwas weniger als der Hälfte wurden die meisten Vorfälle im Ortsteil Charlottenburg aufgenommen (139). Hier wurden allein 80 Propagandafälle gemeldet, u.a. extrem rechte Aufkleber-Serien mit bis zu 60 selbst gemachten Aufklebern rund um den Kurfürstendamm. Danach folgen in großem Abstand die Ortsteile Wilmersdorf (56) und Westend (27).

In Charlottenburg-Nord konnte mit 10 Vorfällen die höchste Zahl bisher dokumentiert werden. Dabei handelte es sich hauptsächlich um Aufkleber extrem rechter Parteien. In Grunewald wurden 6 Vorfälle erfasst, u.a. eine rassistische Beleidigung und eine antisemitische Bedrohung sowie Propaganda des „III. Weg“. In Halensee kam es neben 5 Fällen von Propaganda, u.a. einer Hakenkreuzschmiererei, zu einem rassistischen Angriff. In Schmargendorf wurde eine Person LGBTIQ*-feindlich beleidigt.

NS-Verharmlosung und Gewalt: Gegner*innen der Corona-Maßnahmen 2021

Auch im zweiten Jahr spielten die Proteste gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie eine Rolle im Bezirk. In diesem Zusammenhang wurden vor allem Propagandavorfälle sowie Veranstaltungen erfasst. Die verschiedenen Autokorsos mit Startpunkten in Westend oder Charlottenburg fanden weiter statt, jedoch mit weniger Regelmäßigkeit als im Jahr 2020. Während die Zahl der Teilnehmenden eher stagnierte, ließ sich gleichzeitig eine zunehmende Legitimierung von Gewalt des Milieus beobachten. So versammelten sich Impfgegner*innen vor einer Schule in Charlottenburg, um Schüler*innen bei einer Impfaktion zu beschimpfen und einzuschüchtern. Teilnehmende verschiedener „Querdenken“-Versammlungen beleidigten anwesende Journalist*innen u.a. antisemitisch und griffen sie körperlich an, versuchten ihnen die Kameras zu entreißen oder spuckten sie an. Dabei handelte es sich nicht nur um eine bedrohliche Situation für die Einzelperson, sondern auch um eine Einschränkung der Pressefreiheit. Dies ordnet sich in den Kontext der bundesweiten Gewalt gegen Journalist*innen, die 2021 ein Rekordhoch erreichte, ein. Ebenso kam es zu Übergriffen, nachdem Personen aufgefordert wurden, einen Mund-Nasen-Schutz aufzusetzen. Die meisten Vorfälle in diesem Kontext verharmlosten den Nationalsozialismus oder hatten einen antisemitischen Hintergrund. Durch Slogans wie „Damals die Juden, Heute die Ungeimpften“ oder „Impfen macht frei“, welche wiederholt im Bezirk „geschmiert“ wurden, werden die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie mit der antisemitischen NS-Politik gleichgesetzt und somit der Holocaust bagatellisiert. Die Zahl der NS-verherrlichenden oder -verharmlosenden Vorfälle hat dadurch 2021 die höchste bisher dokumentierte Zahl erreicht (2021: 43; 2020: 29). Weil Veranstaltungen aus dem verschwörungsideologischen Spektrum 2021 hingegen nicht pauschal als Vorfälle aufgenommen wurden, hat sich die Motivkategorie Rechte Selbstdarstellung im Vergleich zum Vorjahr drastisch verringert (2021: 37; 2020: 64). Attila H., der 2020 eine führende Rolle in der Mobilisierung und in der inhaltlichen Radikalisierung der Corona-Skeptiker*innen eingenommen hat, hat sich zum Ende des Jahres 2020 in die Türkei abgesetzt. Zuvor wurde ein Haftbefehl wegen Volksverhetzung und anderer Straftaten gegen ihn erlassen.

Motive: Jeder zweite Tag ein rassistischer oder antisemitischer Vorfall

Der Anstieg antisemitischer Vorfälle um knapp ein Drittel (2021: 46; 2020: 37) lässt sich aber nicht ausschließlich aus dem Zusammenhang mit Corona-Verschwörungsmythen herleiten. Es kam auf offener Straße, in Gaststätten, im öffentlichen Nahverkehr, im Olympiastadion sowie im direkten Wohnumfeld von Betroffenen zu Anfeindungen und Angriffen gegen Personen, die als jüdisch oder israelisch zu erkennen waren, Mitarbeiter*innen jüdischer Einrichtungen oder Personen, die sich gegen Antisemitismus einsetzten. Es wurden antisemitische Schmierereien und Aufkleber im öffentlichen Raum, aber auch an Wohnhäusern jüdischer Familien angebracht. In Wilmersdorf wurden Stolpersteine mit rohen Eiern beschmiert und das Andenken an die israelische Touristin Dalia Elyakim am Denkmal für die Opfer des Terroranschlags am Breitscheidplatz wiederholt beschädigt. Die gestiegene Zahl der antisemitischen Fälle nähert sich aber noch nicht dem Niveau vor 2020 an (2019: 62; 2018: 60; 2017: 67). Rassismus war mit 121 Vorfällen wie in den Vorjahren auch im Jahr 2021 das häufigste Vorfallsmotiv im Bezirk und steigt kontinuierlich an. Angestiegen ist besonders die Zahl der rassistischen strukturellen Benachteiligungen (2020: 13; 2021: 25) sowie der Propaganda (2021: 47; 2020: 37). Diese wurde als Mittel genutzt, um u.a. gegen Flucht, Migration und den Islam zu hetzen sowie rassistische Stereotype zu verbreiten und im öffentlichen Raum den Eindruck zu erwecken, es handele sich um weit verbreitete Einstellungen.

Durch mehr Meldungen von Kooperationspartner*innen hat sich Zahl der strukturellen Benachteiligungen im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Im Großteil der Fälle wurden Personen in Bildungseinrichtungen benachteiligt (17), aber auch auf dem Wohnungsmarkt (4), durch Behörden (3), bei der Arbeit (1) und durch die Polizei (1). Neben Rassismus wurden zwei Fälle behindertenfeindlicher Diskriminierung in der Schule gemeldet.

Trotz Untererfassung: konstantes Gewaltlevel & räumliche Verschiebung

Im Durchschnitt ereignete sich einmal pro Woche eine Bedrohung, Beleidigung oder Pöbelei und etwa alle zwei Wochen ein Angriff. Davon hatten in etwa die Hälfte ein rassistisches Motiv. Die Zahl der Angriffe ist leicht zurückgegangen, vor dem Hintergrund der Untererfassung für das Jahr 2021 ist aber von einem relativ konstanten Gewaltlevel auszugehen. Personen wurden u.a. gestoßen, ins Gesicht geschlagen, gewürgt und angespuckt. Der Großteil der Angriffe fand auf offener Straße (12) oder in öffentlichen Verkehrsmitteln und Bahnhöfen (5) statt. Besonders häufig wurden Angriffe rund um den Zoologischen Garten gemeldet. Es waren auch Minderjährige betroffen, u.a. ein zwölfjähriges Kind, das von zwei erwachsenen Frauen aus rassistischer Motivation geschlagen wurde. Es wurden vier LGBTIQ*-feindliche, drei antisemitische und zwei sozialchauvinistische Angriffe erfasst, bei denen obdachlose Personen im Schlaf attackiert wurden. Die Motivkategorie LGBTIQ*-Feindlichkeit zeichnet sich durch ein besonders hohes Gewaltlevel aus: Bei sieben der insgesamt neun erfassten Fälle handelte es sich um verbale und/oder körperliche Übergriffe an öffentlichen Orten in Charlottenburg. Betroffen waren u.a. homosexuelle Paare und trans Frauen. Dreimal wurden Journalist*innen als politische Gegner*innen von Demonstrationsteilnehmenden angegriffen.

Es lässt sich eine leichte räumliche Verschiebung der verbalen und körperlichen Übergriffe erkennen: Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Angriffe und Bedrohungen, Beleidigungen und Pöbeleien im Ortsteil Charlottenburg um rund 20% gesunken. In den Ortsteilen Wilmersdorf und Westend haben die erfassten Angriffe um jeweils ca. 10% zugenommen. Durch die Einschränkungen im öffentlichen Leben haben sich weniger Menschen z.B. in Einkaufsstraßen bewegt. Dadurch konnten sie dort nicht angegriffen werden. Die Tendenz, dass Angriffe vermehrt in Wohngebieten stattfanden, wurde auch in anderen Bezirken beobachtet.

Charlottenburg-Wilmersdorf als Zentrum der Neuen Rechten

Mit 30 dokumentierten Veranstaltungen ist die Zahl im Vergleich zu den Vorjahren weiter zurückgegangen (2020: 41; 2019: 35). Dies liegt vor allem an den Maßnahmen zur Einschränkung der Corona-Pandemie. So ist der antisemitische Al-Quds-Marsch bereits das zweite Jahr in Folge ausgefallen und erstmals haben keine öffentlichen Veranstaltungen in der „Bibliothek des Konservatismus“ (BdK) stattgefunden. Die BdK, welche 2022 ihr 10-jähriges Jubiläum feiert, hat trotz eingestelltem Veranstaltungsbetrieb ihre Rolle als wichtiger Vernetzungs- und Schulungsort der extremen Rechten bundesweit beibehalten: Die Räumlichkeiten wurden zum Beispiel von der „Jungen Freiheit“ für die Aufzeichnung von Talkrunden mit verschiedenen Führungsfiguren der Neuen Rechten genutzt. Zudem präsentiert sie sich seit April 2021 als Ausleihbibliothek und hat zwei Podcastformate entwickelt, um so ihre ideologische Wirkkraft zu verstärken. Im Zuge des Wahlkampfes wurden zehn Aktionen wie Infostände der Partei AfD aufgenommen, bei denen verschiedene Ausgaben der Bezirkszeitung mit u.a. rassistischen, antifeministischen, LGBTIQ*-feindlichen und gegen die politischen Gegner*innen gerichteten Inhalten verteilt wurden.

Zusammenfassung & Ausblick

Rassismus blieb weiterhin die am häufigsten dokumentierte Motivkategorie im Bezirk und machte mehr als ein Drittel aller Vorfälle aus. Durch die Meldungen von Kooperationspartner*innen ist die Zahl der rassistischen strukturellen Benachteiligungen gestiegen, besonders von Schwarzen Kindern in der Schule. Es wurden mehr antisemitisch motivierte und NS-verherrlichende bzw. verharmlosende Vorfälle dokumentiert. Viele dieser Vorfälle standen im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Das Level der verbalen und körperlichen Gewalt ist in etwa gleich hoch geblieben. Betroffen waren vor allem Menschen, die rassistisch, antisemitisch, LGBTIQ*-feindlich und sozialchauvinistisch markiert werden. Es ließ sich bei den Übergriffen eine leichte Verschiebung weg von den zentralen Einkaufs- und Verkehrspunkten in Charlottenburg in die ruhigeren Ortsteile beobachten. Dies ist ein Effekt der Pandemie und konnte auch in anderen Bezirken beobachtet werden. Mit Wiederbelebung des öffentlichen Lebens wird die Gewalt voraussichtlich wieder vermehrt an den Orten stattfinden, an denen sich die meisten Menschen aufhalten. Der Bezirk ist weiterhin ein wichtiger Standort für Akteure der Neuen Rechten. Mit dem Wegfall der Infektionsschutzmaßnahmen werden auch diese Akteure wieder mehr mit öffentlichen Veranstaltungen in Erscheinung treten.

Beispielvorfälle

31. Januar 2021

Gegen 2:30 Uhr in der Nacht wurden zwei wohnungslose Menschen im Schlaf körperlich angegriffen und verletzt. Der Täter warf einen E-Scooter auf einen schlafenden Mann, und trat anschließend mehrfach auf einen weiteren ein. Dabei soll sich der Täter herablassend über die Wohnungslosen geäußert haben. Ein Zeuge intervenierte und drohte damit, die Polizei zu rufen, woraufhin der Täter floh.

Quelle: Polizeimeldung Nr. 0240

1. Mai 2021

Auf dem Kurfürstendamm in Charlottenburg wurde ein als orthodoxer Jude erkennbarer Mann mit seiner Familie von einem vorbeilaufenden Mann mit lauten „Palestine, Palestine”-Rufen angepöbelt.

Quelle: Register CW via Twitter

21. August 2021

Gegen 0:30 warteten zwei Personen am S-Bahnhof Westkreuz auf die Ringbahn. Ein laut schimpfender weißer Mann näherte sich kurz vor der Einfahrt der Ringbahn von hinten, belästigte die Personen und beschimpfte eine u.a. mit „Schlampe“ und „Scheiss-Lesbe“. Unmittelbar bei Eintreffen des Zuges stürmte er direkt auf eine der Personen zu und spuckte ihr von hinten auf den Kopf.

Quelle: AnDi – Antidiskriminierungs-App

24. August 2021

Am Rande einer AfD-Veranstaltung kam es zu einem Angriff gegen eine Pressevertreterin. Die Journalistin machte aus der Entfernung Fotos von der Menge, als eine Teilnehmerin sie anschrie, an der Jacke packte und am Kameragürtel heftig hin und her zog. Die umstehende Polizei hat nicht reagiert. Zwei Passant*innen kamen schließlich dazu und befreiten die angegriffene Person.

Quelle: Register CW

30. August 2021

Eine Lehrerin an einer Schule verhielt sich wiederholt rassistisch gegenüber einigen Mädchen, die ein Kopftuch tragen und/oder migrantisiert sind. Sie zweifelte ihre Sprachkompetenzen an und demütigte sie im Klassenraum.

Quelle: Recherche und Dokumentationsprojekt Antimuslimischer Rassismus (REDAR

1. Dezember 2021

Auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Charlottenburg fotografierte ein Mann die dort aufgestellte Chanukkia. Als zwei Personen sich mit ihm unterhielten, wurde er sehr aggressiv und meinte, es sei ein Skandal, dass sie hier stehe, weil „die Jesus getötet haben“.

Quelle: Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS)

Der Jahresbericht mit allen Artikeln kann hier heruntergeladen werden.

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