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14.07.2023 Register Charlottenburg-Wilmersdorf

Auswertung des „Real Dyke March“ 2023


Eine Straße und ein Gehweg. Auf dem Gehweg laufen 11 Menschen im Regen. Einige tragen Regenschirme. Im Hintergrund sind Geschäfte, ein Baum und eine Laterne.

Am 23. Juni 2023 fand die von konservativ-feministischen Gruppierungen organisierte Demonstration „Real Dyke March“ unter dem Motto „Lesbisch nicht Queer!“ in Berlin-Charlottenburg statt. Die Demonstration kann aufgrund der Redebeiträge und der gezeigten Schilder als transfeindlich bewertet werden. Die Auftaktkundgebung war am Savignyplatz. Die Versammlungsstrecke ging über die Kantstraße, Kaiser-Friedrich-Straße, Lewishamstraße, Adenauerplatz, Kurfürstendamm und den Tauentzien. Eine Zwischenkundgebung fand am Joachimsthaler Platz statt, die Abschlusskundgebung am Wittenbergplatz. Es nahmen 26 Menschen teil, darunter Akteurinnen des „LAZ.reloaded“ und der „Initiative Lasst Frauen sprechen“.

Warum dokumentierte das Register Charlottenburg-Wilmersdorf überhaupt eine Demonstration mit nur wenigen Teilnehmerinnen? Dies wird verständlich durch Umstände und Zeitpunkt der Demonstration.

Zurzeit gibt es bundes- und berlinweit einen Anstieg von transfeindlichen Inhalten und Vorfällen. Auch das Register Charlottenburg-Wilmersdorf verzeichnete 2022 und im ersten Halbjahr 2023 einen Anstieg transfeindlicher Vorfallsmeldungen. Diese transfeindliche Mobilisierung geschieht vor dem Hintergrund der Debatte um die Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes und zunehmender Sichtbarkeit von trans Personen in der Öffentlichkeit.

Der Name der Demonstration „Real Dyke March“ bedeutet etwa „echter Dyke March“ oder „Echte-Lesben-Demo“. Das ist eine Abgrenzung vom „Dyke* March“, der am Vorabend des Berliner Christopher Street Day in Kreuzberg stattfindet und ausdrücklich trans, inter, nicht-binäre und queere Menschen einlädt. Der gewählte Zeitpunkt der Demonstration, inmitten des Pride Month Juni, kann als ausgrenzende Botschaft an die Trans-Community verstanden werden.

Transfeindliche Plakate und Äußerungen

Die Demonstrantinnen riefen:

„Männlein halt dich besser fern – wir sind Lesben ohne Stern!“

„LGB without the T!“

„Kein Gott, kein Staat, kein Buchstabensalat!“

Sie machten damit deutlich, dass trans Menschen in ihren Augen keine Lesben sein könnten.

Mit dem „Buchstabensalat“ war die die Abkürzung „LGBTIQ*“ gemeint und sollte abgewertet werden.

Drei Frauen. Die Gesichter sind verpixelt. Die vorderste Frau hält ein Schild mit den Worten: ourbodies ourselves - nicht tran$. Die Frau hinten rechts hält einen Regenschirm. Die Frau hinten links hat eine Fahne in lila, weiß, grün um sich.

Auf der Demonstration wurden auch Schilder gezeigt, die als transfeindlich einzuordnen sind. So war ein Schild des „LAZ.reloaded“ zu sehen, auf dem zu lesen war: „Lesbe = erwachsene homosexuelle Frau ᵡᵡ . Die hoch gestellten „xx“ hinter dem Wort Frau spielen auf den Chromosomensatz an. Dadurch wurden trans Frauen, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen bewusst aus der Selbstbezeichnung „Lesbe“ ausgeschlossen.

Auf einem anderen Schild war „Our bodies our selves – nicht tran$“ zu lesen. Das Dollarzeichen statt des S bei dem Wort „trans“ kann als Vorwurf gedeutet werden, dass hinter zunehmender Sichtbarkeit eine Gewinn-orientierte „Trans-Lobby“ als eine globale Elite stecken würde. Das ist eine verschwörungsideologische Vorstellung. In klein gedruckter Schrift stand unter dem Wort „tran$“ außerdem: „Erfindung Queer-Theorie an Universitäten“. Diese Aussage ist in die Erzählung des „Trans-Trends“ einzuordnen. So sei Transgeschlechtlichkeit nur eine moderne akademische, realitätsferne Erfindung. Dies blendet aus, dass es trans Personen schon seit langer Zeit, in allen gesellschaftlichen Schichten und weltweit gibt.

Die Redebeiträge auf der Zwischenkundgebung am Joachimsthaler Platz ordneten sich in die transfeindlichen Inhalte und Themen der Schilder und Sprüche ein. So wurde auf der Zwischenkundgebung mehrmals die Forderung skandiert: „Don’t trans the gay away“ (sinngemäß: ‚Ver·trans·t uns nicht das Lesbischsein‛). Die Rednerin, die diesen Slogan anführte, sagte über geschlechtsangleichende Maßnahmen und die Aufklärung darüber: „it’s worse than conversion therapy“ („es ist schlimmer als Konversionstherapie“). Eine Rednerin des „LAZ.reloaded“ fügte hinzu:

„Manche wollen aufgrund der grassierenden sexistischen Stereotype gar keine Lesben mehr sein, sie lassen sich die Brüste wegoperieren und zeigen die Narben stolz auf dem CSD.“

Beide Aussagen zeugten von der Idee, dass sich vor allem trans Männer für eine Transition entscheiden würden, um Homofeindlichkeit oder Sexismus zu vermeiden. Tatsächlich sind trans Menschen von beiden Ausgrenzungen in hohem Maße betroffen.

Auch das geplante Selbstbestimmungsgesetz wurde auf der Demonstration thematisiert. Die Rednerin des „LAZ.Reloaded“ sagte auf der Abschlusskundgebung am Wittenbergplatz dazu:

„Nun kommt das von der Ampel geplante Selbstbestimmungsgesetz. Da geht es nicht um Frauen, sondern ganz klar um Männerrechte. […] Mit dem Trick Geschlechtsidentität werden einfach Grenzen eingerissen, die Frauen vor Männergewalt schützen […]“

Die gleiche Rednerin erhob in ihrer Rede auf der Abschlusskundgebung ebenfalls Vorwürfe, dass die LGBTIQ*-Community Pädokriminalität einbeziehe oder unterstütze:

„[…] Sexuelle Identitäten, wie zum Beispiel Pädophilie, diese Leute nennen sich selber ‚minor atracted‛, haben mit Lesben rein gar nichts gemein. Gegen diese Vereinnahmung in die Buchstabensuppe, in der wir zu verschwinden drohen, setzen wir uns zu wehr.“

Die Abkürzung LGBTIQ* steht für Lesbian, Gay, Bisexual, Trans, Inter und Queer. Kein Teil der LGBTIQ*-Bewegung unterstützt sexualisierte Gewalt gegen Kinder. Stattdessen ist dies ein tradiertes schwulenfeindliches Scheinargument, das nun auf trans Menschen umgedeutet wird. Transfeindliche Vorwürfe wie dieser wurden während der Abschlusskundgebung von unterschiedlichen Rednerinnen wiederholt.

Umkehrung der Drohkulisse: trans Menschen als Gefahr dargestellt

In einem internen Mobilisierungsdokument, das im Vorfeld der Demonstration verbreitet worden war, hieß es unter anderem:

„Wir rechnen mit gewaltbereiten Gegendemonstrant:innen und bereiten uns entsprechend vor.“, „Wir zögern nicht, Polizei, Ordnerinnen und Security anzusprechen.“ Und „Auf Provokationen gehen wir nicht ein.“

Damit wurde im Vorfeld ein Bedrohungsszenario aufgebaut, dass Gegendemonstrant*innen von vornherein als gewaltbereit darstellte. Das passt zur Unterstellung, dass trans Frauen gewalttätig und gefährlich wären.

Während der Demonstration wurde an Passant*innen eine Broschüre der „Initiative Lasst Frauen Sprechen“ zum geplanten Selbstbestimmungsgesetz verteilt. In dieser Broschüre wurden Falschbehauptungen zu diesem Gesetz verbreitet. Darin heißt es, dass Frauen-Räume durch das Gesetz abgeschafft würden (Seite 11-12 in der Broschüre). Viele Frauen-Räume, vor allem in Berlin, sind bereits seit längerer Zeit transinklusiv und existieren immer noch. Sie wurden zu transinklusiven Frauen-Räumen. In der Broschüre wird behauptet, dass die meisten trans Männer eigentlich Frauen seien, die mithilfe einer Transition Sexismus entkommen wollen würden (Seite 15). Auf der nächsten Seite wird gesagt, dass diese Frauen häufig homosexuell seien. Damit wird angedeutet, dass die Motivation für eine Transition die homofeindliche Gesellschaft sei. Dies blendet Hürden und Diskriminierungen aus, die mit einer körperlichen und sozialen Transition einhergehen und macht schwule trans Männer unsichtbar. Die Gruppe hatte im Frühjahr 2023 eine Broschüre für Eltern von trans Kindern verbreitet, die als transfeindlich wahrgenommen wurde. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Texts lag sie bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften zur Untersuchung.

Besonders an all dem ist, dass die Demonstration selbst aus einem Teil der LGBTIQ*-Bewegung heraus veranstaltet wurde, der jedoch trans- und intergeschlechtliche sowie queere Menschen ablehnt und auf die Einteilung in Mann und Frau beharrt. Sie bezeichnen sich daher auch als „LGB-Bewegung“. Das wurde auch in den Demoparolen deutlich. Die LGB-Bewegung gilt als transfeindlich. Zu diesem Spektrum zählen auch konservative Feministinnen, die sich selbst Radikalfeministinnen nennen. Sie weisen die Emanzipation von trans Menschen ab, da sie denken, die Errungenschaften der Frauenbewegung würden dadurch gefährdet. Darüber hinaus legen auch extrem rechte und ultrakonservativ-religiöse Akteur*innen ihren inhaltlichen Schwerpunkt seit geraumer Zeit auf das Thema „Trans“: Sie lehnen vielfältige Geschlechter- und Familienmodelle ab und verneinen, dass es trans Menschen überhaupt gebe. Diese beiden Strömungen unterscheiden sich von konservativ-feministischen Kreisen deutlich.

Die abschließend als transfeindlich einzuordnende Demonstration wurde von lautem Gegenprotest mit ca. 200 Teilnehmer*innen und diversen Störkationen begleitet. Hier demonstrierten lesbische und trans Menschen gemeinsam dagegen, gegeneinander ausgespielt zu werden.

beide Fotos: Houmer Hedayat

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