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11.08.2023 Koordinierung der Berliner Register

2023: Hohe LGBTIQ*-Feindlichkeit während der Pride-Saison in Berlin


Foto vom Dyke*March in Berlin

Juni ist der internationale Pride-Monat, in dem viele Organisationen und Unternehmen die LGBTIQ*-Community gezielt adressieren, es Veranstaltungen und verstärkte Sichtbarkeit für das Thema gibt. Die Berliner Pride-Veranstaltungen wie die Christopher-Street-Day-Parade und der Dyke March finden Ende Juli statt. Die Vorfallzahlen der Berliner Register haben in den letzten Jahren gezeigt, dass deshalb in dieser Zeit die meisten Anfeindungen und Übergriffe aus LGBTIQ*-feindlicher Motivation stattfinden.

Im Juni und Juli 2023 haben die Berliner Register insgesamt 111 LGBTIQ*-feindliche Vorfälle erfasst, jeweils 55 bzw. 56 pro Monat. Diese beiden Monate liegen damit deutlich über den vorherigen Monaten und machen alleine bereits etwa die Hälfte sämtlicher im Vorjahr dokumentierter Vorfälle in dieser Motivkategorie aus (2022: 239). Zum Vergleich: Im Juni und Juli 2022 wurden zusammen nur 61 LGBTIQ*-feindliche Vorfälle erfasst. Dieser drastische Anstieg fügt sich in den Gesamteindruck zunehmender queerfeindlicher Hetze und Gewalt. 26 Angriffe und 35 Bedrohungen, Beleidigungen oder Pöbeleien aus einem LGBTIQ*-feindlichen Motiv wurden allein in diesem Zeitraum dokumentiert. Die meisten körperlichen Attacken ereigneten sich in Friedrichshain-Kreuzberg (10) und Neukölln (6). Verbale Übergriffe fanden in fast allen Bezirken statt, aber häuften sich in Mitte und Treptow-Köpenick mit je sieben, sowie Lichtenberg und Friedrichshain-Kreuzberg mit je sechs Vorfällen.

Angriffe auf Pride-Paraden

Auch Anfeindungen gegen oder im Umfeld von den verschiedenen Pride-Paraden in Berlin blieben nicht aus. Am 24. Juni fand, ausgehend vom S-Bahnhof Raoul-Wallenberg-Straße, die „Marzahn Pride“ von dem Verein Quarteera mit hunderten Teilnehmenden statt. Im Vorfeld brachten Personen aus dem Spektrum der extrem rechten Kleinstpartei „Der III. Weg“ homofeindliche Transparente entlang der Route an. Während der Demonstration bepöbelten drei Personen aus einem Imbiss heraus die Teilnehmenden wiederholt queerfeindlich, u.a. als „Affenpocken-Demo“. Und während der Endkundgebung kam es zu einer gezielten Störaktion durch Neonazis, die Personen fotografierten um sie einzuschüchtern. Auf dem Dyke* March, der am 21. Juli vor dem Festssaal Kreuzberg startete, gab es einen Angriff mit einem Glasflaschenwurf auf die Teilnehmenden, bei dem eine Person am Oberschenkel verletzt wurde.

Rund um den Christopher Street Day am 22. Juli gab es mehrere Übergriffe auf Menschen, die sich auf dem Weg zur Parade oder auf dem Heimweg befanden. Auf der Veranstaltung selbst kam es ebenfalls zu einigen Vorfällen: Ein Mann, der als Ordner für einen Wagen auf der CSD-Parade eingesetzt war, zeigte einer Drag-Queen aus homofeindlicher Motivation beleidigende und bedrohliche Gesten. Außerdem bespuckte er vorbeigehende queere Menschen und lachte sie gemeinsam mit seinen Kollegen aus. Eine kleine Gruppe von ca. 10 christlichen Fundamentalist*innen, die am Rand der CSD-Parade standen, belästigten und beleidigten Teilnehmende. Dabei bezeichneten sie u.a. Queerness und Transsexualität als Lügen. Außerdem bewegte sich eine Gruppe von bis zu ca. 35 Neonazis der Kleinstpartei "Der III. Weg" vom Alexanderplatz zur Straße Unter den Linden und bedrohten unterwegs queere Personen. Dabei drohten sie auch mehrfach, queere Personen, die von der CSD-Parade kamen, mit Glasflaschen zu bewerfen.

“Berlinkarte mit den LGBTIQ-Vorfällen der Jahre 2022 und 2023 nach Arten pro Bezirk”

Queerfeindliche Hetze

38-mal wurde im Juni und Juli 2023 Propaganda mit LGBTIQ*-feindlichen Inhalten verbreitet (2022: 15). Dazu gehörten z.B. Aufkleber mit durchgestrichenen Regenbogenfahnen und Schmierereien wie „Gegen LGBTQ“. Die rechte „#Stolzmonat“-Kampagne - eine extrem rechte Social-Kedia-Kampagne gegen den Pride-Monat, bei der statt der Regenbogenfahne schwarz-rot-goldene Fahnen gezeigt werden – wurde in Form von Aufklebern aus dem Netz auf die Straße getragen. „Der III. Weg“ verbreitete Slogans wie „Anti CSD“ oder „In Berlin ist man nicht mit dem Pride-Month einverstanden“. Am Tag des CSD selbst brachten Personen aus diesem Spektrum am Geländer des Gebäudekomplexes am Berliner Fernsehturm ein Transparent mit dem Schriftzug "Homo = Volkstod" an. Darüber hinaus wurden sieben Sachbeschädigungen und vier Veranstaltungen erfasst. Bei den Sachbeschädigungen handelte es sich um entwendete, zerrissene oder beschmierte Pride-Fahnen, die vor Bibliotheken, Schulen und Kirchen angebracht waren. Auch das Grab einer trans Frau in Lichtenberg wurde erneut geschändet.

Am 23. Juni fand die von konservativ-feministischen Gruppierungen organisierte Demonstration „Real Dyke March“ unter dem Motto „Lesbisch nicht Queer!“ mit zwei Dutzend Teilnehmenden in Charlottenburg statt. Die Demonstration verstand sich als Abgrenzung zum „Dyke* March“ im Juli, welcher ausdrücklich trans, inter und nicht-binäre Menschen einlud. Die Demonstrantinnen machten deutlich, dass in ihren Augen trans Menschen keine Lesben sein könnten und unterstellten, trans Frauen seien gefährlich und gewalttätig und nutzten ihr Transsein, um in Frauen-Räume einzudringen.

Das zentrale ideologische Element in vielen Vorfällen war die verschwörungsideologische Vorstellung einer bedrohlichen und mächtigen „Homo-“ bzw. „Transpropaganda“, vor welcher wahlweise „die Deutschen“, „die Frauen“ oder „die Kinder“ geschützt werden müssten. So wurde z.B. eine Broschüre eines Vereins in einem Briefkasten gefunden, welche behauptete der „Transgender Hype“ greife „unsere Kinder“ an. Und auch der III. Weg sprühte den Slogan „Hände weg von unseren Kindern“. Dieses Motiv wurde auch in der AfD-Zeitung „Blauer Bote“ aufgegriffen, die bei einem Infostand in Charlottenburg verteilt wurde. Darin wird unter anderem in einem Beitrag über den angeblichen "Transwahnsinn" bei Kindern berichtet und versucht einen vermeintlichen Zusammenhang zwischen der geschlechtlichen Selbstbestimmung von Kindern und Kindesmisshandlung herzustellen, mit dem Ziel das geplante Selbstbestimmungsgesetz zu diskreditieren. Auch die tradierte homofeindliche Erzählung der Pädokriminalität wurde bedient: Das Büro des Bildungs- und Sozialwerk des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg e.V. erhielt einen Brief, in dem unter anderem die LGBTIQ*-Community mit Pädophilen verglichen wurde und eine Rednerin beim „Real Dyke March“ erhob den Vorwurf, die LGBTIQ*-Community beziehe Pädokriminelle mit ein. Auf die Spitze trieb es eine Rednerin bei einer Reichsbürger*innen Versammlung vor dem Reichstag: Sie forderte die Bombardierung eins Kindergartens in Berlin, weil dieser auch homosexuelle Betreuer beschäftige.

Balkendiagramm der LGBTIQ*-feindlichen Vorfälle in Berlin von Januar bis Juli im Vergleich der Jahre 2022 und 2023 nach den verschiedenen Arten der Vorfälle. Angriff 2022: 38, 2023: 52. BBP 2022: 49, 2023: 57. Propaganda 2022: 41, 2022: 84. Saschbeschädigung 2022: 23, 2023: 17. Veranstaltung 2022: 4, 2023:6. Strukturelle Benachteiligung 2022: 8, 2023: 4.

2022 waren die LGBTIQ*-feindlichen Vorfälle bereits angestiegen. Dass Mitte des Jahres 2023 der Stand der erfassten LGBTIQ*-feindlichen Vorfälle bereits auf dem Niveau des gesamten Vorjahres liegt, deutet auf einen signifikanten Anstieg hin. Dieser resultiert zum einen aus der Präsenz von LGBTIQ*-Personen in der Öffentlichkeit, den Debatten um das Selbstbestimmungsgesetz und daraus, dass Betroffene von LGBTIQ*-feindlichen Vorfällen ihre negativen Erfahrungen als Vorfälle melden.

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