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19.06.2019 Register Charlottenburg-Wilmersdorf

Auswertung des Qudstag-Marsches 2019 in Charlottenburg


„Wir werden nicht zulassen, dass die Demo verboten wird, […] wir dürfen auch nicht Hizbollah-Flaggen zeigen und so verzichten wir auch drauf. Jeder weiß was Israel ist, jeder weiß auch, welche Leute wir lieben, aber wir können das nicht immer hier kundtun, sonst wird die Demo verboten. Also bitte, bitte haltet euch daran.“
– Jürgen Grassmann, Sprecher der ausrichtenden Quds-AG

Die vorliegende Auswertung des Qudstag-Marsches am 1. Juni 2019 wurde durch die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS Berlin), das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V. (JFDA) und das Register Charlottenburg-Wilmersdorf erstellt. Die Übersetzungen der Schriftzüge und Parolen auf Arabisch und Farsi wurde von Samuel Schidem vorgenommen.

Am diesjährigen Berliner Qudstag-Marsch vom Adenauerplatz bis zum Wittenbergplatz in Berlin nahmen zwischen 900 und 1.000 Personen teil. Das Motto der Demonstration lautete: „Für einen gerechten Frieden in Palästina und der Welt!“ Angemeldet waren 2.000 Teilnehmer_innen. Die tatsächliche Teilnehmer_innenzahl befindet sich damit in einer vergleichbaren Höhe wie in den letzten Jahren. Bekannt sind organisierte Anfahrten mit Bussen aus Hamburg, Hannover, Bottrop (über Dortmund), Münster, Aachen (über Düren) und Frankfurt am Main. Der antisemitische und israelfeindliche Charakter der Demonstration zog ebenfalls Personen aus dem links-antiimperialistischen, neonazistischen und verschwörungsideologischen Milieu an.

Eine Inszenierung für die Öffentlichkeit
Der diesjährige Qudstag-Marsch muss auch im Lichte der öffentlichen und medialen Debatten der vergangenen Tage und Wochen bewertet werden: So stand der Qudstag-Marsch im Vorfeld der Veranstaltung im breiten Fokus der medialen Öffentlichkeit. In mehreren Beiträgen wurde das Verbot des Marsches gefordert. Auch warf das Verbot der schiitischen libanesischen Terrororganisation Hizbollah im Vereinigten Königreich einen Schatten auf die Veranstaltung in Berlin. In der Konsequenz wurden die Rufe nach der Einstufung der gesamten Hizbollah als terroristische Organisation auch in Deutschland laut.
Folgerichtig standen in diesem Jahr die Verhinderung dieses Verbots des Qudstag-Marsches im Mittelpunkt des Agierens der Organisator_innen des Marsches, wie an einem Appell des Sprechers der ausrichtenden Quds-AG, Jürgen Grassmann, während des Marsches deutlich wird:

„Ich will nicht, dass zehn Leute wie Du einfach sagen, wir dürfen das [die Parole ‚Kindermörder Israel!‘, die per Auflage untersagt worden war, Anm. d. Verf.] nicht mehr sagen. Verzichtet doch einmal drauf, wir wissen doch sowieso was Israel ist. Wir wollen die Demo behalten, und ich bitte euch inständig, jeder der auch nur die Anzeichen hat, dem zuwider zu handeln, meldet den, der muss den Zug verlassen. Wir werden nicht zulassen, dass die Demo verboten wird, wir verzichten darauf. Wir dürfen auch nicht Hizbollah-Flaggen zeigen und so verzichten wir auch drauf. Jeder weiß was Israel ist, jeder weiß auch, welche Leute wir lieben, aber wir können das nicht immer hier kundtun, sonst wird die Demo verboten. Also bitte, bitte haltet euch daran. Allahu Akbar.“

An einem anderen Zeitpunkt brachte Grassmann es mit folgenden Worten auf den Punkt: „Wir haben eine Strategie. Wir wollen nicht, dass diese Demo verboten wird.“ Dieser „Strategie“ wurden auch die religiösen Anrufungen, also die Kommunikation nach innen (vgl. Auswertung 2018) untergeordnet: Vom Lautsprecherwagen selber kamen nur Mitglieder der Organisationsstruktur zu Wort sowie bei der Abschlusskundgebung in einem „Interview“ ein Mitglied der jüdisch-ultraorthodoxen Gruppe Neturei Karta, die das Existenzrecht Israels nicht anerkennt.
Ziel der Organisator_innen war es, stärker die Kontrolle über die Außenwirkung des Marsches zu behalten. Dabei wurde am Konzept der zurückliegenden Qudstag-Märsche angeknüpft und sich stärker auf Debatten der deutschen Mehrheitsgesellschaft bezogen. So wurden einheitliche Plakate mit dem Hashtag „#niewieder“ verteilt oder Argumentationsfiguren, die von der antisemitischen BDS-Kampagne genutzt werden, aufgegriffen. Nichtsdestotrotz befanden sich in den vorgegebenen Parolen und auf Schildern zahlreiche antisemitische Inhalte.
Im Gegensatz zu den Jahren zuvor nahmen keine offen erkennbaren schiitischen Geistlichen am Marsch teil. Ein Grund hierfür könnte die Sorge der Würdenträger um den Fortbestand der jeweiligen Finanzierungen ihrer Institutionen sein. So gab es 2018 insbesondere in Hamburg eine umfassende öffentliche Kritik an der Teilnahme von Führungspersonen des Islamischen Zentrums Hamburg (IZH) wie dem stellvertretenden Leiter, Seyed Mousavi, oder dem Sprecher des IZH und Leiter der Islamischen Akademie Deutschland Hamidreza Torabi.

Antisemitismus auf den neuen „offiziellen“ Schildern und in Parolen
Bereits einige Tage vor der Demonstration wurden auf der Webseite der Organisator_innen Bilder von Plakaten veröffentlicht, die auf dem Qudstag-Marsch mitgeführt wurden. Können diese Plakat-Vorgaben als Teil des Versuches gedeutet werden, die Außendarstellung der Demonstration stark zu bestimmen, finden sich in diesen „offiziellen“ Plakaten und Schildern dennoch antisemitische Stereotype: So wird Israel als ein rassistisches Unterfangen bezeichnet und delegitimiert, wenn es beispielsweise heißt: „Zionismus ist Rassismus – Stop Apartheid Israel“. Dass Israel nicht als legitimer Staat wie alle anderen auch betrachtet wird, zeigt sich unter anderem, wenn der jüdische Staat auf einem Plakat nur in Anführungszeichen geführt wird: „‚Israel‘ ist das einzige Regime der Welt, das Kinder strafrechtlich verfolgt und in Militärgerichten verurteilt!“ Entsprechend fanden sich in vom Lautsprecherwagen aus vorgetragenen, von den Teilnehmer_innen erwiderten Parolen antisemitische Versatzstücke. So wurde Israels Politik im Zuge einer antisemitischen Täter-Opfer-Umkehr in die Nähe der Vernichtungspolitik der Nazis gerückt und Israel damit dämonisiert, wenn es heißt: „Menschen deportiert, Merkel salutiert!“ In einer Parole wurden antisemitische Verschwörungsmythen bedient und suggeriert, die Debatte über Antisemitismus sei ein jüdisches Täuschungsmanöver: „Judenhass ist die List, Maske runter, Zionist!“

Antisemitische Plakate und Äußerungen der Teilnehmer_innen
Die ersten Teilnehmer_innen des Qudstag-Marsches trafen gegen 14:15 Uhr am Auftaktort direkt an der U-Bahnstation Adenauerplatz ein. Bis zum Beginn der Kundgebung um 15:10 Uhr war keine Organisationsstruktur wahrnehmbar. Diese Zeit vor dem Beginn der rigiden Kontrolle durch die Organisator_innen nutzten einige Teilnehmer_innen als Bühne für ihre Anliegen. Eine Gruppe von Unterstützer_innen der Huthi-Rebellen aus dem Jemen, die vom Iran unterstützt werden, liefen geschlossen einige Meter in Richtung der Route des Zugs. Dabei präsentieren diese neben einer großen Jemen-Fahne einige offizielle Plakate des den Huthis zugeordneten „Ansar Allah Media Center“. Zwei Plakate beinhalteten den Wahlspruch der Huthis „Allahu Akbar – Tod Amerika – Tod Israel – Verdammt seien die Juden – Sieg dem Islam“. Mindestens eines dieser Plakate war bis zu dem Zeitpunkt, als der Marsch die Gegenkundgebung am Georg-Grosz-Platz passierte, zu sehen. Des Weiteren wurden aus der Gruppe Plakate an andere Teilnehmende verteilt. Die Plakate mit dem antisemitischen Wahlspruch waren so auch während der Demonstration sichtbar.
Ebenfalls hielt eine Einzelperson lautstark eine Ansprache, zunächst direkt an die Gegendemonstrierenden am Adenauerplatz gerichtet, und drohte:

„Wir warten noch auf den ersten Angriff von Israel. Wir marschieren von Südlibanon mit den Palästinensern zusammen. 500 Palästinenser mit Millionen von Schiiten in Südlibanon nach Israel in sha Allah, wir zeigen [es] dieser Welt. Das wird ein Sieg gegen Israel, das wird Euer letzter Tag in sha Allah. […] Gott hat gesagt, wenn die Quds zerstören, an diesem Tag wird Jerusalem zerstört. Ich verspreche Euch, ich schwöre bei dem Gott, an den die Juden glauben. Sie wollen zerstören. Erst die Zerstörung von Al Quds, dann wird vom Himmel Jerusalem zerstört. Das ist ein Signal für die Israelis, für die Juden.“

Vor Ort war auch Usama Z., der regelmäßig seine antisemitischen Plakate an verschiedenen Orten in Berlin, insbesondere bei Demonstrationen, zeigt. In einem Interview am Rande des Startpunkts leugnete er die Schoa.
Zudem wurde am Startpunkt des Marsches die antisemitische Parole „Kindermörder Israel“ gerufen, was durch die Polizei beanstandet wurde. Auf den ersten Metern der Demonstration wurden die Rufe auf Initiative Einzelner wiederholt, woraufhin die Polizei den Zug unterbrach. Daraufhin erfolgte eine Ermahnung vom Lautsprecherwagen, dies zu unterlassen, um nicht die Zukunft des Marsches zu gefährden.
Nach der Zwischenkundgebung am U-Bahnhof Kurfürstendamm setzten sich junge Teilnehmer_innen an die Spitze des Zuges und dessen Struktur wurde gelockert. Zwar dominierten die Parolen „Freiheit für Gaza/Palästina“ und „Free Free Gaza/Palestine“, doch kurz vor dem Wittenbergplatz wurde „Nieder mit dem Zionismus“ und vereinzelt „Raus mit den Zionisten“ skandiert. Hinzu kam der religiöse Schlachtruf „Labayka ya Hussein“ („Wir stehen Dir bei, oh Hussein!“) – eine Parole, die sich auf die historische Schlacht von Kerbela bezieht, welche die Trennung von Schia und Sunna markierte, und als Signal der Bereitschaft für den Kampf einzuordnen ist bzw. von dem Anführer der Hizbollah Hassan Nasrallah auch so interpretiert wurde.

Hizbollah-Bezüge und Terrorverherrlichung im Laufe des Marsches
Wie bei jedem Marsch seit 2016 umfassten die erteilten Auflagen ein Verbot von Symbolen der Hizbollah auf Kleidung oder Fahnen, wie auch Verbot von Hizbollah verherrlichenden Sprüchen. Gegen diesen Auflagenbescheid erhoben die Organisator_innen am 29. Mai Widerspruch, dem am 31. Mai vom Verwaltungsgericht Berlin in zwei Punkten stattgegeben wurde, darunter auch in Bezug auf das Verbot von Symbolen der Hizbollah und der ihr nahestehenden Organisationen. Auf eine Beschwerde des Landes Berlin hin kassierte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg am Tag des Marsches in einem Eilverfahren die Entscheidung des Verwaltungsgerichts.
Kurz nach dem Eintreffen des Lautsprecherwagens am Auftaktort wurde die Ansage gemacht: „Nur genehmigte Plakate, keine eigenen nehmen, keine eigenen Fahnen oder Symbole.“ Von den Organisator_innen ausgegeben wurde wie schon in den vergangenen Jahren ein mitgeführtes Plakat mit Porträts von Nasrallah, dem iranischen religiösen Führer Ali Chamenei und dem Kommandanten der iranischen Quds-Einheiten Qassem Soleimani sowie dem Spruch auf Arabisch „Hizbollah – Das sind die Sieger“. Darüber hinaus hatten die bereits genannten Unterstützer_innen der jemenitischen Huthi-Rebellen Plakate mitgebracht und schon vor dieser Ansage verteilt, unter denen sich auch mindestens eines mit Gesichtern von Nasrallah und dem Führer der Huthi-Bewegung, Abdul-Malik al-Huthi, befand.
Nachdem die Gegenkundgebung auf dem George-Grosz-Platz hinter sich gelassen wurde und damit das Interesse der Öffentlichkeit nachließ, hielt Grassmann auf Höhe der U-Bahnstation Kurfürstendamm eine Rede, in welcher er mehrmals positiv auf die Hizbollah Bezug nahm. So bezeichnete er die Terrororganisation als „Widerstandszelle“, die es „zum ersten Mal gewagt [hat], die israelische Armee direkt anzugreifen“. Dieses Modell des Widerstands habe Palästinenser_innen ihre Würde zurückgegeben. Angriffe auf den Norden Israels durch die Hizbollah im Jahr 2000 wurden von Grassmann als „Erfolg des islamischen Widerstandes“ gefeiert: „Die Besatzungsarmee wurde im Jahr 2000 zu einer peinlichen Flucht aus dem Süden Libanons gezwungen. Das war Hizbollah!“ In ihrer Gesamtheit kann die Rede, vor allem die Aufzählung als positiv beurteilter Gewaltmaßnahmen gegen Israel, als Verherrlichung der Hizbollah und Gutheißen der Gewalt gesehen werden. Diese Aussagen wurden von den Teilnehmer_innen des Marsches durch Applaus und zustimmende Rufe unterstützt. Schon vorher bezog sich Grassmann auf die Hizbollah, als er sagte, „jeder weiß auch, welche Leute wir lieben“.
Erneut trug ein Redner, T-Shirts mit einer Symbolik, die mit der Hizbollah assoziiert werden kann: Auf gelbem Hintergrund mit grüner Umrahmung umschließt eine Faust die Wurzel der oben herausragenden Zeder. Die Faust ist Ausdruck für den Gebiets- und Herrschaftsanspruch der Hizbollah im Libanon (symbolisiert durch die Zeder) und im Gebiet zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan (symbolisiert durch die Wurzel).
Bereits zu Beginn des Marsches trug eine Person ein T-Shirt, das die palästinensische Terrororganisation Hamas verherrlichte. Auf der Vorderseite war das Symbol der Al-Qassam-Brigaden, dem militärischen Arm der Hamas, zu sehen. Auf der Rückseite stand neben den Umrissen des gesamten Gebiets zwischen Mittelmeer und Jordan: „Hamas Al-Qassam Brigarden [sic]“. Die Polizei sprach die Person am Auftaktort an. Der Mann nahm aber kurze Zeit später wieder an der Veranstaltung teil.
Daneben gab es wie in den letzten Jahren positive Bezüge auf die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP). Die PFLP setzt sich die Abschaffung des Staates Israel zum Ziel und ist seit den 1960er-Jahren für zahlreiche Terroranschläge in Europa und Israel verantwortlich. Ein Teilnehmer trug einen Button mit dem Logo der PFLP sowie einen Schal mit Porträts von Abu Ali Mustafa und George Habasch – verstorbene Führungspersonen der PFLP. Nach Abu Ali Mustafa ist der militärische Arm der PFLP benannt.

Geschichtsrevisionismus auf der Abschlusskundgebung
Bei der Abschlusskundgebung am Wittenbergplatz kam es zu einem „Interview“ mit einem Neturei Karta-Vertreter. Dieser gab den „Zionisten“ die Schuld am „Holocaust“ und am Antisemitismus nach 1945. Auf die durch einen Moderator gestellte Frage, ob er am Morgen nach dem „Niedergang Israels“ „etwa Angst um [sein] Leben hätte“, antwortete er: „The biggest enemy of Judaism is Zionism. They bring us the Holocaust in the begin. They give the boost to Hitler to kill us. And they try all the time since then to make antisemitism in all the world. [sic]“ Ins Deutsche wurde dies wie folgt übertragen: „Der Zionismus ist der größte Feind des Judentums. Sie waren es, die den Holocaust erst möglich gemacht haben. Sie haben für die Bedingungen gesorgt, die für diesen Massenmord gesorgt haben.“ Diese Argumentationsfigur ist eine häufige Form des Post-Schoa-Antisemitismus: In einer Täter_innen-Opfer-Umkehr werden die deutschen Täter_innen und ihre Helfer_innen entschuldigt, während den historischen Opfern, den Jüdinnen_Juden, die Schuld an der Schoa gegeben wird. Danach beendete Grassman die Veranstaltung mit den Worten „Ich bitte und bedanke mich, nächstes Jahr werden wir, in sha Allah, noch freier sprechen dürfen.“

Antisemitische Vorfälle am Rande des Marsches
In drei uns bekannt gewordenen Situationen wurden Teilnehmer_innen der Gegendemonstration „Gegen den Quds-Marsch!“ angefeindet. Gegen 14:45 wurden zwei Frauen, die auf dem Kurfürstendamm vom Adenauerplatz in Richtung George-Grosz-Platz gingen, von drei Männern mit dem sogenannten „Deutschen Gruß“ angepöbelt. Die beiden Frauen gingen nicht darauf ein und setzten ihren Weg fort.
Gegen 15:20 wurde in einem Café am Georg-Grosz-Platz eine weitere Teilnehmerin der Gegendemonstration, die an zwei israelsolidarischen Pins als solche erkennbar war, antisemitisch beschimpft. Sie wollte Getränke kaufen und wartete in der Schlange, als sie Gesprächsfetzen von drei Personen vor ihr hörte. Ein junger Mann erwähnte die Hizbollah. Dann sah er sie an und erblickte die Pins der Frau, woraufhin er sagte, „Eigentlich müsste Hitler wiederkommen und auch den Rest töten.“ Die Betroffene verließ das Café umgehend und stellte eine Anzeige.
Auf dem Rückweg wurden am U-Bahnhof Kurfürstendamm gegen 18:15 Uhr ein Mann und eine Frau antisemitisch angepöbelt. Die Teilnehmer_innen der Gegendemonstration, die anhand Israel-Fähnchen und eines Banners mit dem Stadtwappen von Jerusalem als solche erkennbar waren, warteten auf die Bahn, als sie hörten, dass ein Mann, der in Begleitung eines weiteren Mannes war, hinter ihnen „Kindermörder Israel“ und „Israel bringt Kinder um“ rief. Die Betroffenen forderten den Mann auf, sie in Ruhe zu lassen, doch dieser setzte fort und rief: „Israel raus aus Palästina, Palästina gehört den Palästinensern! Juden raus aus Jerusalem, Israel ist Besatzungsmacht! Kindermörder Israel!“ Auch auf weitere Einwände der Betroffenen reagierte der Mann nicht, wie auch dessen Begleiter, der sich etwas abseitig hielt und nichts sagte. So hörten die Pöbeleien erst auf, als die Betroffenen in ihre U-Bahn einsteigen konnten.

Exkurs: Der Qudstag-Marsch in Frankfurt am Main
Seit 2015 wird jährlich durch einen schiitischen Verein aus Offenbach am Main zeitlich parallel zum Marsch in Berlin ein Qudstag-Marsch in Frankfurt am Main durchgeführt. In Frankfurt beteiligen sich vornehmlich türkischsprachige Anhänger_innen der Schia.
Bis 2017 waren offene Hizbollah-Bezüge sichtbar. So wurden zwischen 2015 und 2017 jedes Jahr mehrere Porträts von Nasrallah mitgeführt, bis 2016 auch Fahnen der Hizbollah. 2015 wurde das Symbol der Terrororganisation für das Ankündigungsplakat verwendet. 2016 wurde auch auf die Hamas Bezug genommen, als ein Bild des 2004 getöteten Anführers der palästinensischen Terrororganisation Scheich Ahmad Yassin mitgeführt wurde.
2019 beteiligten sich laut der Polizei 350 Personen am Qudstag-Marsch in Frankfurt am Main. Ein Teil der männlichen Teilnehmer trug T-Shirts mit dem Logo des schiitischen Vereins auf der Vorderseite. Auf der Rückseite stand neben den Umrissen des gesamten Gebiets zwischen Mittelmeer und Jordan „Freiheit für Palästina“. Auf Schildern waren unter anderem Porträts der Ajatollahs Chomeini und Chamenei sowie Abdul-Malik al-Huthi abgebildet. Auch in Frankfurt wurde während des Zuges der Schlachtruf „Labayka ya Hussein“ skandiert. Im Gegensatz zu Berlin findet der jährliche Qudstag-Marsch in Frankfurt kaum Beachtung von Medien, Politik und Zivilgesellschaft.

Fazit
Der Qudstag-Marsch hat auch 2019 nichts von seinem antisemitischen Charakter verloren, trotz der von den Organisator_innen forcierten – und auch wörtlich so benannten – Strategie der Täuschung der Öffentlichkeit. Diese hatten die Organisator_innen angesichts der bestehenden Gefahr eines Verbots des Marsches infolge der öffentlichen Diskussion entwickelt. Die Strategie umfasste den Verzicht auf einige Elemente der vergangenen Jahre wie religiöse Ansprachen oder externe Redner_innen (mit Ausnahme der Antworten eines Neturei Karta-Mitglieds). Auch beteiligten sich dieses Jahr keine offen erkennbaren schiitischen Geistlichen, die in den vergangenen Jahren sehr eng mit dem Marsch in Verbindung gebracht wurden.
Die Außenwirkung des Marsches als vermeintlich nicht antisemitisch stand im Mittelpunkt. Es wurde versucht, eine möglichst strenge Kontrolle über die Äußerungen der Teilnehmer_innen auszuüben und so jeglichen Verstößen gegen die Auflagen zuvorzukommen. Hier offenbarte sich wieder eine bevormundendes Verhältnis der Organisation zu den eigenen Teilnehmer_innen, die Grassmann vergangenes Jahr als „nicht besonders hochgebildete[…] Brüder“ bezeichnete. Trotzdem konnte, gerade angesichts des Anlasses des Marsches – des Aufrufs zur Gewalt gegen Israel – nicht auf Hizbollah-Bezüge verzichtet werden. So wurde noch im gleichen Satz, während die Teilnehmer_innen ermahnt wurden, sich an die Regeln zu halten, die Hizbollah glorifiziert. Ähnlich verhielt es sich bei den einstudierten Parolen und vorgegeben Plakaten, die mehrheitlich von unterschiedlichen Formen von Antisemitismus gekennzeichnet waren. Das alles nächstes Jahr „noch freier“ äußern zu dürfen, wie Grassmann es sich zum Abschluss des Marsches gewünscht hatte, kann in der Konsequenz nur offene Gewaltbefürwortung und noch expliziterer Antisemitismus bedeuten.

Abbildungen

Diese Auswertung mit Abbildungen können Sie hier abrufen.

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