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30.06.2017 Register Charlottenburg-Wilmersdorf

Auswertung des Quds-Marsches 2017


Wir machen keine Friedensdemo. Sondern wir machen eine Demo gegen die Zionisten, gegen den Staat Israel!
(Jürgen Grassmann bei der Auftaktkundgebung des Qudstag-Marsches)

Die vorliegende Auswertung des Qudstag-Marsches am 23. Juni 2017 wurde durch die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS), das Register Charlottenburg-Wilmersdorf, das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V. (JFDA) und Research and Documentation (Re Doc) erstellt. Die Übersetzungen der Schriftzüge in Arabisch und Farsi sowie die Einordnung der rezitierten Koran-Sure wurde von Samuel Schidem vorgenommen.

Am diesjährigen Qudstag-Marsch vom Adenauerplatz bis zum Wittenbergplatz in Berlin, der unter dem Motto „Nein zu Trump! Nein zur zionistischen Apartheid! Nein zum Terror und deren Unterstützern! Nein zum Krieg!“ stattfand, nahmen zwischen 600 und 650 Personen teil, wobei der Frauen- und Kinderanteil größer als im Vorjahr war.

Präsenz politischer, religiöser und militärischer Institutionen der Schia

Wie schon in den Jahren zuvor war der Qudstag-Marsch durch die Präsenz von Vertretern der Islamischen Republik Iran gekennzeichnet – u.a. nahm Hamidreza Torabi vom Islamischen Zentrum Hamburg (IZH) teil. Neu war in diesem Jahr, dass eine Person mit einem Aufnäher der Iranischen Revolutionsgarden auf der Brust (Abb. 1) Poster verteilte, welche in Arabisch und Farsi für den bewaffneten Kampf gegen Israel warben. So entstand eine deutlich wahrnehmbare Präsenz djihadistischer Propaganda, u.a. durch die Abbildung eines militärischen „Treueschwurs für den Imam Huseyin“ (Abb. 2) vor einer Moschee oder durch die Wortkombination „Djihad Imad“ (Abb. 3) – eine Aufforderung, militärische Rache für den angeblich durch den israelischen Geheimdienst getöteten Hizbollah-General Imad Mughniya zu nehmen. Ebenfalls auf einem Transparent fand sich die Aussage „Die Unterdrücker sollen wissen, dass ich eines Tages komme“ (Abb. 4). Die Plakate bedienen eindeutig eine Rhetorik, die sich an Kämpfer der Hizbollah richtet. Ein Vertreter der “Demokratischen Komitees Palästinas e.V.” brachte gegenüber „Al-Manar“, dem in Deutschland verbotenen Sender der Hizbollah, seine Haltung deutlich auf den Punkt: „Wir rufen alle Muslime zu Widerstand mit allen Mitteln zur Befreiung von Falastin, vom Meer bis zum Fluss“ (Beitrag liegt vor).

Auf einer Zwischenkundgebung am Breitscheidplatz wurde eine Gedenkminute für die Opfer des Terroranschlags vom 19. Dezember 2016 abgehalten. Der seit einigen Jahren beim Qudstag-Marsch auftretende Imam Hassan Sadeghi rezitierte die Sure 3 „Al Imran“, Vers 102 und 103.

Die dritte Sure „Al Imran“ („Das Haus Imran“) befasst sich hauptsächlich mit dem Glauben von Juden (und Christen) als vermeintlich irreführende Glaubenswege. Historisch gesehen ist diese Sure eine Aufforderung an die Muslime, sich diesen vermeintlich irreführenden Religionen zu widersetzen. Die Sure kann als eine Art Warnung an die Gläubigen verstanden werden, da sie von „wahren Muslimen“ die Einhaltung dieser Worte erwartet. Der „wahre Muslim“ bekämpft die irreführenden Religionen und deren Betrüger (Juden werden als Verfälscher und Christen als Ketzer dargestellt). Im Kontext des Qudstag-Marschs ist die Sure, als Ausdruck einer radikalen religiösen Auffassung zu verstehen. Der gleiche Imam hatte im letzten Jahr Verse der al-Isra-Sure vorgetragen, welche die Tötung israelischer Zivilisten legitimieren.

Neben den offenen Hizbollah-Bezügen, wie Portraits von Hassan Nasrallah und den beschriebenen Postern, wurde durch eine Fahne der Amal-Miliz für eine Partnerorganisation (Abb. 5) geworben. Zwei Teilnehmende trugen eine Fahne und einen Schal (Abb. 6), der palästinensischen Terrororganisation „Popular Front for the Liberation of Palestine“. Auf der Abschlusskundgebung sprach ein Vertreter der „Demokratischen Komitees Palästinas e.V.“, welche seit einiger Zeit einen Anschluss an linke, internationalistische politische Szenen Berlins suchen, u.a. gehörten sie zu den Aufrufenden zu der Demo des Internationalistischen Blocks am 1. Mai 2017 in Berlin.

Antisemitismus 2.0.

Die kontinuierliche zivilgesellschaftliche Dokumentation antisemitischer Ausdrucksformen auf dem seit 1996 in Berlin stattfindenden Qudstag-Marsch zeigte noch mehr Wirkung als im Vorjahr. Die Veranstaltende „Quds-AG“ ist spätestens seit den physischen Angriffen auf Gegner_innen ihres Anliegens am Rande des Aufmarschs im Sommer 2014 stark darum bemüht, das eigene Auftreten vom Vorwurf des Antisemitismus zu exkulpieren.

Ganz praktisch zeigte sich dieses Bemühen in diesem Jahr darin, dass einzelne offen antisemitische Plakate, die in den letzten Jahren von Seiten der Organisator_innen an die Teilnehmenden verteilt wurden, in diesem Jahr nicht mehr festgestellt wurden. Nichtsdestotrotz wurden Plakate verteilt, die Israel dämonisieren und falsche und einseitige Anschuldigungen enthielten. Mehrmals wurde zu dem vom Lautsprecherwagen die antisemitische Parole „Kindermörder Israel“ vorgegeben. Ebenso wurden Schilder gezeigt auf denen behauptete wurde, dass Israel „alle 3 Tage“ ein Kind töte. Wie schon in den vergangenen Jahren wurde über von der Veranstaltenden Quds-AG verteilte Poster zum Boykott Israels aufgerufen. Erstmals fand die an die internationale BDS-Kampagne angelehnte Rhetorik der Dämonisierung auf einem Banner an einem der beiden Lautsprecherwagen mit dem Slogan „Boycott Apartheid Israel“ einen noch prominenteren Platz.

Zwei weitere, weniger erfolgreiche Strategien der Exkulpation beziehen sich auf die Instrumentalisierung jüdischer Stimmen und die damit verbundene Unterteilung in „gute“ und „schlechte“ Juden, sowie die semantische Codierung antisemitischer Stereotype.

Wie in den Jahren zuvor traten bei der Auftaktkundgebung drei britische Vertreter der anti-zionistischen Neturei-Karta-Sekte auf, welche jedoch die Veranstaltung wieder verließen, bevor sich diese in Bewegung setzte. Der langjährige Organisator des Qudstag-Marsches Jürgen Grassmann übte sich in seiner Anmoderation für die Neturei Karta Rede in einer Bestimmung, wer als „richtiger Jude“ gelten dürfe.

„Hier sind Juden, gläubige Juden, die kämpfen gegen den Zionismus. (…) Das sind unsere Brüder. Und an die Araber sei gemeint: Yahudi wird in arabischen Ländern oft als Schimpfwort benutzt. Die Juden sind unsere Brüder, aber nur die gläubigen Juden. Nur die Juden, die auch gegen Israel sind, die aufstehen gegen den Zionismus, nur das sind richtige Juden. Die, die sich Juden nennen, die Zionisten, das sind keine gläubigen Menschen. Und deshalb ein Salawat [(Gebet), Anm. d. Verf.] für unsere drei jüdischen Mitstreiter gegen den Staat Israel, gegen die Regierung Israel, gegen den Zionismus, bitte ein Salawat.“

Grassmanns Zuweisungen gingen noch weiter; so würden „echte Juden“ Schläfenlocken tragen und einige Juden nicht nach draußen kommen, weil es zu schmutzig sei.

Dass die auf dem Qudstag-Marsch inszenierte Brüderlichkeit nur für jene Juden gilt, welche die „Beseitigung des zionistischen Staates“ (Rede des Neturei Karta Sprechers Chaim Bleiyer) unterstützen, ist nicht erst seit diesem Jahr bekannt. Die Fremdkonstruktion eines „richtigen“ Jüdischseins mit spezifischen körperlichen und charakterlichen Eigenschaften ist hingegen Ausdruck einer antisemitischen Weltsicht.

Auch der seit einigen Jahren beim Qudstag-Marsch auftretende Christoph Hörstel von der Kleinstpartei „Deutsche Mitte“, welche auf der Auftaktkundgebung mit mehr als einem Dutzend Helfer_innen Stimmen für ihren Antritt bei der Bundestagswahl sammelte und in einem Vorort verteilten Flugblatt u.a. die Abschaffung von „Zins und Zinseszins“ forderte, bemühte die gleiche Strategie. Hörstel zitierte in seiner Rede Rolf Verleger, Mitglied der „Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“, mit den Worten „unser Auftrag als Nachkommen der Opfer von Auschwitz und Treblinka, als Nachkommen derer, die verfolgt worden sind hier in Deutschland, verfolgt worden sind in der Nazizeit, ist eine bessere Welt aufzubauen und nicht uns einen Opferstatus in Erbpacht aufrecht zu erhalten.“ Hörstel nutzte diese Vorlage eines bekannten deutschen antizionistischen Juden, um den antisemitischen Vorwurf zu formulieren, Juden würden aus dem ihnen erfahrenen Leid bis heute Vorteil ziehen: „Dass sozusagen Juden sich als Opfer hinstellen, und deswegen muss für alle Zeit sozusagen die Welt da etwas in die Kasse tun, politisch oder finanziell. […] Mit solchen Juden [wie R. Verleger] ist tatsächlich immer und überall und weltweit Staat zu machen.“

Die Unterteilung in gute, anti-zionistische, „israel-kritische“, „echte Juden“ und „Zionisten“, die keinen richtigen jüdischen Glauben haben, war einer der roten Fäden des diesjährigen Qudstag-Marsches. Vom Lautsprecherwagen vorgegebene Parolen wie „Zionisten sind Faschisten – Faschisten Raus aus Deutschland!“ sprechen in Deutschland lebenden Juden_Jüdinnen, die nicht die Existenz des Staates Israel ablehnen, ihr Recht auf Unversehrtheit ab. Die Gesamtheit der Reden und Wortbeiträge von Grassmann und Hörstel berücksichtigend muss der Begriff „Zionist“ im Kontext des Qudstag-Marschs so verstanden werden, dass er auch in Deutschland lebende Juden und Jüdinnen beschreibt. Vor diesem Hintergrund, sollte geprüft werden, inwiefern das Urteil des Amtsgerichts Essen vom Januar 2015 (Az. 57 Cs-29 Js 579/14-631/14), auch in Berlin angewendet werden kann. Die Parole „Tod und Hass den Zionisten“ wurde darin als Straftatbestand der Volksverhetzung betrachtet. Die Berufungsinstanz bestätigte im Mai 2015 das Urteil.

Schiitische Umwegkommunikation

Neben der Agitation gegen die Existenz Israels und „die Zionisten“ spielte die internationale Auseinandersetzung zwischen Schiiten und Sunniten wieder eine größere Rolle in den Reden der Quds-AG. Die Thematisierung kam jedoch nicht ohne verschwörungstheoretische Deutungen aus.

„Die Drahtzieher des internationalen Terrorismus sitzen in Washington und London. Die Ideologie und das Geld kommt [sic] aus den arabischen Golfstaaten und die Täter kommen aus allen Ländern der Welt. Wenn wir getötet werden, sollten wir zumindest wissen von wem und weshalb. Passen Sie gut auf sich auf, wenn der nächste amerikanische Djihadist Sie erwischt.“ (Rede J. Grassmann)

Die Verbrechen des „Islamischen Staat“ (IS) seien Redner Grassmann zufolge im Grunde als „internationales, amerikanisches Terrormanagement“ zu verstehen, der IS sei in US-amerikanischen Gefängnissen im Irak entstanden und seine Ideologie sowie die finanzielle Unterstützung von Saudi-Arabien bzw. den Mitgliedern des Golfkooperationsrates geliefert worden. Grassmann führte weiter aus, dass nur dem „Trio USA, England, Israel“ alle notwendigen militärischen, geheimdienstlichen, logistischen und medientechnischen Ressourcen zur Verfügung stünden, um „ein Monster namens IS weltweit zu führen.“ Demselben „Trio“ unterstellt Grassmann konspiratives und destruktives Verhalten im syrischen Bürgerkrieg, um eine Niederschlagung des eigens herangezogenen IS zu verhindern. Die vermeintlichen Beweggründe der beschuldigten Staaten zur Bildung eines Bündnisses zur Stärkung und Verbreitung radikalislamischen Terrors fanden in Grassmanns Rede kaum Erwähnung, dafür aber weitere Behauptungen und vage Andeutungen: So würden die USA IS-Kämpfer im Norden Afghanistans stationieren, um angrenzende Regionen Chinas zu destabilisieren, zudem hätte die US Regierung in Zusammenarbeit mit „den Saudis“ die Anschläge vom 11. September 2001 geplant. Der IS sei „amerikanischer Terrorismus und die IS-Terroristen demnach amerikanische Djihadisten“. Die mutmaßliche Rolle Israels im konspirativen Konstrukt wurde nicht erläutert.

Fazit:

  • Das zentrale Anliegen des Qudstag-Marsch ist die Beseitigung Israels. Auch wenn das Auftreten nach einigen Gesichtspunkten – Gewaltanwendung, offener Antisemitismus – gemäßigter erscheint, versteht sich die Veranstaltende Quds-AG als Beschleuniger für die Abschaffung Israels. (Rede Grassmann am Auftaktort.
  • Die Bemühungen der Veranstaltenden Quds-AG nicht als antisemitisch wahrgenommen zu werden, sind zwar deutlich erkennbar, verdecken aber nicht die antisemitische Weltsicht der Redner: dichotome Fremdkonstruktionen vom Jüdischsein entlang der Einteilung in „echte“ antizionistische und nicht-antizionistische Juden und die Instrumentalisierung ersterer erinnern an den Umgang mit sogenannten „Hofjuden“ im 17. Und 18. Jahrhundert.
  • Die Präsenz djihahidistischer Propaganda in Form von Postern, welche durch einen Anhänger der Iranischen Revolutionsgarden verteilt wurde, war sowohl qualitativ als auch quantitativ neu.
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