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15.07.2015 Register Charlottenburg-Wilmersdorf

Antisemitische Ausdrucksformen auf dem Al-Quds-Aufmarsch in Berlin – 2015


Am 11. Juli organisierte die Quds-AG des Vereins „Islamische Gemeinde der Iraner in Berlin-Brandenburg e. V.” den neunzehnten Al-Quds-Aufmarsch in Berlin.

Das Wort >jahudi< wird in Arabien falsch benutzt. Juden sind unsere Brüder und Freunde. Zionisten bleiben unsere Feinde. (Jürgen Grassmann, Anmelder des diesjährigen Al-Quds-Aufmarsch in Berlin, 11. Juli 2015)

Am 11. Juli organisierte die Quds-AG des Vereins „Islamische Gemeinde der Iraner in Berlin-Brandenburg e. V.” den neunzehnten Al-Quds-Aufmarsch in Berlin. An dem Aufzug nahmen zwischen 700-800 Personen teil. Anders als im Vorjahr, gab es keine Angriffe auf Gegendemonstrant_innen. Jedoch agitierten die offiziellen Redner wesentlich offener und aggressiver gegen Israel, „die Zionisten“ und Juden_Jüdinnen. Im Mittelpunkt der Auswertung sollen daher die Inhalte der gehaltenen Reden stehen.

Die vorliegende Auswertung des Al-Quds-Aufmarsches am 11.Juli 2015 wurde durch das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus, das Register Charlottenburg-Wilmersdorf und die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus erstellt. Darüber hinaus wurden mehrere Aussagen von Beobachter_innen und eine Meldung über Report-Antisemitism.de berücksichtigt.

Auftaktveranstaltung am Adenauerplatz

Als erster Redner sprach der Anmelder des Al-Quds-Aufmarsches Jürgen Grassmann. Er begann seine Rede, gerichtet an die Kundgebung des No-Al-Quds Bündnisses, mit den Worten: „Das sind die Krebsgeschwüre der Menschheit. Dagegen müssen wir gewaltlos in Deutschland antreten, kämpfen. Dafür haben wir Leute im Libanon. Die Gruppe beginnt mit >H< (H. steht für Hisbollah, Anmerk. d. Verfasser). Und da sind wir stolz drauf.“ Er forderte die Teilnehmenden des Al-Quds-Aufmarsches auf, friedlich zu bleiben, denn „die Kampfzone befindet sich im Libanon, in Syrien, in Afghanistan, in Gaza. Wer kämpfen will, ist dort gefragt. Hier auf den Straßen haben wir es nicht nötig.“ Es folgte eine für seine manichäische Weltsicht symptomatische Bewertung der deutschen Medien, diese seien „[…] die Lügenpresse, die zionistische Presse. Das ist zionistische Presse. Tagesspiegel, Spiegel, es gibt keine freie Presse.“

Als nächster Redner trat wie in den Vorjahren Christoph Hörstel auf. Der PR-Berater und Vorsitzende der Partei „Deutsche Mitte“ bewegt sich in verschwörungstheoretischen Zusammenhängen und fiel im letzten Jahr durch seine Bezeichnung Israels als „Un-staat“ auf. In seiner diesjährigen Rede parallelisierte er die mediale Berichterstattung über Antisemitismus mit nationalsozialistischer Propaganda. „Sie desinformieren. Sie machen mit der deutschen Bevölkerung das, was Adolf Hitler mit den Polen vorhatte. Er wollte sie verdummen. Das sind Nazimedien.“ Wie schon im vergangenen Jahr sprach er Israel in seiner jetzigen Verfassung das Existenzrecht ab und relativierte den anti-jüdischen Terror der Hamas. „Lasst uns an die Palästinenser denken, die dafür kämpfen, dass Al-Quds eine freie Stadt wird, zionistenfrei, das wäre gut.“ Und weiter: „Die Hamas ist bereit Juden zu schützen.“ Stattdessen finde „In Palästina eine ethnische Säuberung statt“.

Der letzte Redner der Auftaktveranstaltung war der in der deutschen Palästina-Solidaritätsbewegung sehr aktive Journalist Martin Lejeune. In seiner Rede begründete er seine aktuellen Bemühungen ein Schiff von Hamburg nach Gaza zu entsenden. Sein Appell an die deutsche Öffentlichkeit, sich für das „unveräußerliche Recht auf palästinensische Selbstbestimmung“ einzusetzen, enthielt einen NS-Vergleich, relativierte den Holocaust und dämonisierte Israel: „Deutschland trägt schon die Schuld an einem Holocaust. Es darf nicht noch einen Holocaust geben.“ Weiter sagte er, dass "[…] in Gaza ein Völkermord stattfindet, ein Völkermord stattfindet an den Palästinensern verübt durch die israelische Armee […]. Die deutsche Regierung unterstützt und bewaffnet die israelische Armee, um den Völkermord an den Palästinensern durchzuführen."

Zwischenkundgebung an der Ecke Uhlandstraße / Kurfürstendamm

Auf der Zwischenkundgebung wurde zunächst eine Rede der Sekte „Neturei Karta“ verlesen. Die Neturei Karta tritt als vermeintlich jüdische Stimme auf anti-israelischen Demonstrationen in ganz Europa auf. Auch in diesem Jahr leugneten sie das Existenzrecht Israels als jüdischen Staat. „Judaismus verbietet in jeglicher Art die Besetzung Palästinas. […] Sie wollen, dass die Menschen vom jüdischen Staat reden, weil dann können sie alle Kritiker als antisemitisch verurteilen.“

Die auf Arabisch vorgetragene Rede des als „jemenitischer Bruder“ vorgestellten Saif Al-Washali endete mit dem volksverhetzenden Schlachtruf: „Tod Israel, verflucht seien die Juden und Sieg für den Islam.“ Hierfür erhielt der Redner Beifall, seine Parole wurde von Teilen der DemonstrantInnen im Chor gerufen. Die Parolen „Tod Israel“ oder Abwandlungen davon, waren durch den Auflagenbescheid untersagt worden.

Als letzter Redner auf der Zwischenkundgebung sprach ein Vertreter der Union der islamischen Studentenorganisationen in Europa. Dieser dämonisierte das israelische Handeln als „Rassenmord“, welches ihn an den Nationalsozialismus erinnere, und forderte dazu auf „die Produkte des zionistischen Tyrannen [zu] boykottieren“. In Anspielung auf die deutsche Erinnerungspolitik stellte er fest: „Das deutsche Volk schuldet dem antisemitischen und zionistischem Regime von Israel nichts.“

Abschlusskundgebung am Wittenbergplatz

Auf der Abschlusskundgebung dämonisierte und delegitimierte der Anmelder des „Quds-Marsches“ Grassmann Israel als „Krebsgeschwür“ und als „den Schuldigen an allem Übel dieser Welt“. Seine antisemitische Weltsicht, wird in seiner anschließenden Rede über die verschwörerische Allmacht der „Zionisten“ deutlich: „Unsere Politiker tun das nicht freiwillig. Viele von denen würden bestimmt gerne eine andere Nahostpolitik betreiben. […] Die Damen und Herren Zionisten haben in diesem Bereich eine absolute Macht. Die haben Geld, die haben alles. […] Die Zionisten sitzen in ihren Löchern, haben die Taschen voll Geld und bestechen unsere Politiker.“ In Reaktion auf den lauter werdenden Protest der Gegendemonstrant_innen drohte Grassmann: „Ich wünschte, wir hätten einen offenen Schlagabtausch. Allahu akbar können wir ruhig sagen.“

In seiner Abschlussrede führt er seine Verschwörungstheorien weiter aus und rief zu aktivem Widerstand auf: „Die Zionisten planen Jahrzehnte voraus. 9/11 haben sie jetzt geplant. In 20 Jahren wollen sie weiter planen: Ägypten, Türkei, alles soll geteilt werden. […] Wir können uns nicht hier zurück lehnen, Fernsehen gucken, bei ALDI und LIDL einkaufen, bei den ganzen zionistischen Firmen. […] Die werden irgendwann ihre Rechnung bezahlen müssen. Aber Gott kann die nur dann ausgleichen, wenn wir auch aufstehen. Wenn wir auch kämpfen. Es wird nicht von alleine passieren.“ Er beendet die Veranstaltung mit den Worten „Das Wort >jahudi< wird in Arabien falsch benutzt. Juden sind unsere Brüder und Freunde. Zionisten bleiben unsere Feinde.“

Besondere Vorkommnisse

Die folgende Auswahl von Vorfällen dokumentiert den antisemitischen und verbal-aggressiven Charakter des Quds-Marsches in Berlin.

  • Auftaktkundgebung, 15:00 Uhr: eine Gruppe skandierte in Richtung der Kundgebung des antifaschistischen Bündnisses „Kindermörder Israel“. Grassmann schritt mit Verweis auf die Polizei ein. Später wurde die Parole ohne Sanktionen gerufen.
  • Auftaktkundgebung, 15:00 Uhr: Einschüchterungsversuch von zwei Journalist_innen durch eine Gruppe von DemonstrationsteilnehmerInnen. Dabei wurden diese geschubst und als „Zionistenschweine“ beschimpft.
  • Kantstraße / Budapesterstraße, 15:00 Uhr: Schüler filmte die Kundgebung gegen den Al-Quds Tag am Breitscheidplatz und kommentierte seine Aufnahme laut mit den Worten: „Wir sollten euch wieder vergasen!“ Polizei nahm Anzeige entgegen und stellt den Täter fest.
  • Höhe Schlüterstraße, 16:25 Uhr: Rufen des antisemitischen Schlachtrufs „Khaibar khaibar ya yahod! Gaish Mouhamad sawfa yaood“ (sinngemäße Übersetzung: Juden, vergesst nicht Khaybar, Mohammeds Armee kehrt zurück), welcher sich auf den antijüdischen Feldzug in der Stadt Khaybar im Jahre 627 unser Zeitrechnung bezieht.
  • Zwischenkundgebung, 16:50 Uhr: Rufen des islamischen Glaubensbekenntnis mit der Ergänzung „wa Shahid Habib Allah“ (Übersetzt: der Märtyrer wird geliebt von Allah). Es handelt sich im Kontext der Demonstration, um eine Verherrlichung terroristischer Gewalt durch Märtyrer gegen den Staat Israel.
  • Joachimsthaler Straße, 17:30 Uhr: Einzelperson rief „Juden ins Gas“.
  • Breitscheidplatz, 17:35 Uhr: Bis zur Abschlusskundgebung kam es immer wieder zu homophoben Aussagen gegenüber einer Person, die die Demonstration kritisch begleitet.
  • Abschlusskundgebung, 18:00 Uhr: Teilnehmende schüchtern eine Journalistin ein. Nur durch das beherzte Eingreifen von anderen Journalist_innen, wurden diese beendet.
  • Abschlusskundgebung, 18:10 Uhr: In Reaktion auf eine Rede des Anmelders Grassmann, wurde von einem Demonstranten der Hitlergruß gezeigt. Als dieser angezeigt wurde, entgegnete der Polizist, dass die Teilnehmer so etwas nicht machen würden.

Fazit

Der „Qudstag“ hatte wie in den Vorjahren das Motto „Gemeinsam gegen Zionismus und Antisemitismus“. Das Motto prägte die Semantik der gehaltenen Reden und das Auftreten des Anmelders Jürgen Grassmann. Die öffentliche Thematisierung von „Antisemitismus“ wurde als Propaganda-Waffe und als Erfindung der „kontrollierten Medien“ beschrieben. Wie in den Jahren zuvor wurde versucht, die eigene antisemitische Weltsicht durch die konsequente Verwendung des Wortes „Zionisten“ anstelle von „Juden“ zu camouflieren. Anders als im letzten Jahr kam es dieses Mal zu keinen Angriffen auf Gegen-Demonstrant_innen. Ein Umstand der auf das noch massivere Polizeiaufgebot und das Fernbleiben einer bestimmten Personen-Klientel, die im letzten Jahr aufgrund des Gaza-Krieges teilnahm, erklärt werden kann.

Im Rahmen der Dokumentation des „Al-Quds-Marsches“ wurden knapp 50 Sichtungen gezählt, welche folgende Aspekte enthielten:

  • fortwährende antisemitische Invektiven oder offene Juden-Feindlichlichkeit von Rednern des Quds-Marsches
  • verunglimpfende Dämonisierungen Israels bzw. der israel-solidarischen Gegen-Demonstrant_innen
  • Positionen, die Israel in seiner jetzigen Verfassung als jüdischen Staat abschaffen wollen
  • Verherrlichung von Gewalt gegen Israel
  • Relativierung des Nationalsozialismus
  • Anfeindungen von Journalist_innen und Einschränkungen in der Ausübung ihrer Pressefreiheit
  • homophobe Anfeindungen gegenüber einer Person, die den Al-Quds-Marsch kritisch begleitete
  • Zeigen des Hitler-Grußes

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